Zwischen Monopol und Moralpanik: Europas Tanz um die Seltenen Erden

Es ist eine hübsche Ironie unserer Zeit: Wir bauen grüne Technologien, um die Welt zu retten, und hängen dabei an den Metallen eines einzigen Landes, das gleichzeitig Windräder beliefert und geopolitische Nerven testet. Willkommen im Magnetfeld der Seltenen Erden – dort, wo Hightech auf Geopolitik trifft, und Idealismus auf Preislisten.

1. Das Monopol, das keins sein will

Die Zahlen sind so klar, dass sie fast langweilig wirken: China produziert rund zwei Drittel der globalen Seltenerd-Erze, verarbeitet etwa 90 Prozent davon – und kontrolliert fast die gesamte Magnetproduktion, also jene kleine, aber entscheidende Schraube im Getriebe moderner Technologie. Ohne diese Metalle drehen keine Windturbinen, fahren keine E-Autos, fliegen keine Kampfflugzeuge, ja, nicht einmal deine Kopfhörer funktionieren so wie sie sollen.

Aber das eigentliche Monopol liegt nicht im Boden. Es liegt in der Verarbeitung. Der Dreck der Trennung, die Chemie der Raffinierung, die Präzision der Magnetfertigung – all das passiert in China. Nicht, weil Europa keine Minen hätte, sondern weil man hierzulande lieber Recyclingbroschüren druckte als Trennanlagen zu bauen.

Über Jahrzehnte hat China die gesamte Wertschöpfungskette integriert: von der Grube über die Trennanlage bis zur Magnetfabrik. Und während der Westen mit PowerPoint und Umweltgutachten beschäftigt war, hat Peking ein Monopol geschaffen, das sich höflich als „führende Rolle“ tarnt.

2. Europas verspätetes Erwachen

Irgendwann, etwa als der Lithiumpreis explodierte und Exportrestriktionen in den Nachrichten auftauchten, dämmerte es auch in Brüssel: Vielleicht war es doch keine gute Idee, sich auf ein einziges Land zu verlassen, um die Energiewende zu stemmen. Und so entstand der Critical Raw Materials Act, kurz CRMA – eine jener politischen Abkürzungen, die klingen, als hätte man sie in einer Kaffeepause beschlossen.

Die EU will nun:

  • 10 % des Bedarfs selbst abbauen,

  • 40 % selbst verarbeiten,

  • 25 % recyceln,

  • und nicht mehr als 65 % von einem einzigen Land abhängig sein.

Das klingt vernünftig. Bis man merkt, dass man damit eine neue Art von zentraler Planung einführt – nur eben mit grünem Logo. Wo früher Brüssel den Zuckergehalt von Marmelade regulierte, legt man heute fest, wie viel Seltene Erden aus Recycling stammen müssen. Fortschritt hat viele Gesichter.

47 „strategische Projekte“ wurden inzwischen benannt. Alle sollen schnell genehmigt, grosszügig gefördert und möglichst effizient umgesetzt werden. Kurz: Die EU will ein bisschen China spielen, aber mit Nachhaltigkeits-Hashtag.

3. Die grosse europäische Materialoffensive

Es gibt nun drei Schlachtfelder: Abbau, Verarbeitung, Recycling – und jede Lobby hat ihre eigene Hymne.

Der Abbau

In Skandinavien, Spanien, Portugal und Osteuropa werden alte Lagerstätten neu entdeckt. Politiker posieren vor Bohrlöchern, Investoren sprechen von „strategischer Autonomie“, und lokale Bürgerinitiativen gründen sich noch bevor der erste Bagger rollt. Zwischen „Green Deal“ und „Not in my backyard“ ist der Weg kurz.

Die Verarbeitung

Hier zeigt sich Europas eigentliches Defizit: Es gibt kaum Raffinerien, kaum Magnetfabriken, kaum Know-how. Jahrzehntelang hat man diesen Teil der Industrie ausgelagert – weil’s günstiger war und niemand Chemierückstände mochte. Nun versucht man, das Rad zurückzudrehen. Nur: Man braucht Jahrzehnte, Milliarden und Geduld. Drei Dinge, die in der EU-Politik selten gleichzeitig vorkommen.

Das Recycling

Recycling ist das neue Heilsversprechen. Alte Windräder, Elektromotoren, Smartphones – alles soll wiederverwertet werden. Theoretisch. Praktisch steckt der Teufel im Detail: Die Rückgewinnung ist technisch schwierig, energieintensiv und teuer. Und so bleibt der Traum vom Kreislauf oft ein PR-Kreis.

4. Zwischen Plan und Panik

Natürlich kann man die Brüsseler Ambitionen verstehen. Niemand will abhängig sein von einem Land, das seine Exportquoten nach geopolitischer Stimmungslage anpasst. Doch Europas Antwort darauf wirkt, als wolle man Zentralismus mit Zentralismus bekämpfen.

Anstatt die eigenen Märkte zu öffnen, neue Player zuzulassen und unternehmerische Experimente zu fördern, setzt man auf Planvorgaben: Quoten, Fördergelder, strategische Allianzen. Das ist verständlich – aber auch gefährlich. Denn je stärker der Staat steuert, desto weniger lernt der Markt, wo die echten Knappheiten liegen. Und Knappheit ist die Mutter der Innovation, nicht der Fördertopf.

Wenn Preise künstlich gedämpft oder Projekte politisch priorisiert werden, entstehen Fehlinvestitionen. Man baut Fabriken, die ohne Subventionen nie existieren würden. Man schafft Abhängigkeiten, nur diesmal von der eigenen Bürokratie. Und plötzlich ist Europa zwar weniger abhängig von China – aber dafür mehr von sich selbst.

5. Die Illusion der strategischen Autonomie

„Strategische Autonomie“ – das klingt nach Selbstbewusstsein, nach Kontrolle, nach industrieller Renaissance. In Wahrheit bedeutet es oft: mehr Planung, weniger Wettbewerb, mehr Papier, weniger Dynamik. Die EU will wissen, welche Metalle sie in 20 Jahren braucht, obwohl sie nicht weiss, welche Technologien in zehn Jahren dominieren werden. Solche Prognosen sind, höflich gesagt, mutig. Oder, weniger höflich, ökonomisch naiv.

Märkte sind keine Maschinen, die man justieren kann. Sie sind lebendige Netzwerke aus Wissen, Irrtum, Risiko und Neugier. Wer glaubt, diesen Prozess zentral steuern zu können, verwechselt Wirtschaft mit Schach.

Und während in Europa Tabellen gefüllt und Richtlinien konsultiert werden, testet irgendwo in China ein Ingenieur eine neue Magnetlegierung – ganz ohne parlamentarische Debatte.

6. Der vergessene Wert des Wettbewerbs

Was Europa braucht, ist kein staatlich orchestrierter Gegenspieler zu China, sondern ein Spielfeld, auf dem viele verschiedene Akteure ausprobieren dürfen, was funktioniert. Wettbewerb ist kein moralisches Konzept, sondern ein Entdeckungsverfahren. Er zeigt, was effizient ist, was robust ist, was sich rechnet – und was nicht.

Wenn Innovation gelingen soll, muss sie aus Unternehmertum, nicht aus Verordnungen entstehen. Man kann den Markt nicht beauftragen, kreativ zu sein, indem man ihm 400 Seiten Regulierung schickt. Man muss ihm Raum lassen, Fehler zu machen – und daraus zu lernen.

Das heisst nicht, der Staat solle nichts tun. Er soll sichern, was er besser kann: Recht, Eigentum, Vertrauen. Er soll Genehmigungsverfahren beschleunigen, Investitionen ermöglichen, Forschung steuerlich erleichtern. Aber nicht festlegen, welcher Magnet aus welchem Metall zu bestehen hat.

7. Die globale Perspektive

Europa steht nicht allein in dieser Lage. Die USA, Japan, Südkorea und Australien verfolgen ähnliche Strategien, teils mit weniger Pathos, aber mehr Pragmatismus. Während Washington Milliarden in eigene Förderketten steckt, setzt Canberra auf private Partnerschaften. Und Japan zeigt, dass man Abhängigkeiten auch durch kluge Lagerhaltung und langfristige Verträge mindern kann – ohne zentralistische Reflexe.

Vielleicht liegt hier die eigentliche Lehre: Resilienz entsteht nicht durch Abschottung, sondern durch Vielfalt. Wer mit vielen Partnern handelt, ist nie von einem einzigen abhängig. Wer viele Technologien ausprobiert, kann auch mit Ausfällen leben. Und wer dem Markt erlaubt, sich selbst zu korrigieren, muss weniger retten.

8. Europas mögliche Renaissance – falls es den Mut dazu findet

Europa hat eigentlich alles, was es braucht: Rohstoffvorkommen, Kapital, Forschung, Demokratie, Rechtssicherheit. Was fehlt, ist der Mut, Marktmechanismen zu vertrauen, statt sie zu fürchten. Mut, Preise sprechen zu lassen. Mut, Risiken zuzulassen. Mut, den eigenen Wohlstand nicht durch Regulierung, sondern durch Offenheit zu sichern.

Wenn man in Brüssel von „strategischer Autonomie“ spricht, sollte man vielleicht besser von „strategischer Offenheit“ reden: Offen für neue Partner, neue Technologien, neue Geschäftsmodelle. Offen für das Unvorhersehbare, das Märkte auszeichnet.

Denn Märkte sind kein Chaos, das man bändigen muss – sie sind die zivilisierteste Form des Chaos, die wir haben.

9. Ein realistischer Optimismus

Die gute Nachricht: Europa kann seine Abhängigkeit reduzieren. Aber nicht durch Planung, sondern durch Unternehmertum. Schon heute entstehen Start-ups für Recycling von Magneten, neue Trenntechnologien, Ersatzmaterialien. Private Investoren entdecken das Thema, Forschungseinrichtungen experimentieren mit neuen Legierungen. Wenn diese Energie nicht in Formularen verpufft, könnte Europa in zehn Jahren tatsächlich eine eigene, robuste Lieferkette aufgebaut haben – nicht als Kopie Chinas, sondern als Gegenmodell.

Doch das erfordert, dass man Vertrauen in den dezentralen Verstand des Marktes hat. Vertrauen, dass Tausende kleine Entscheidungen klüger sind als eine grosse Strategie. Vertrauen, dass Freiheit und Wettbewerb nicht das Problem sind, sondern die Lösung.

10. Schlussgedanke: Zwischen Kontrolle und Vertrauen

Am Ende steht Europa an einer Weggabelung. Auf der einen Seite: die Versuchung, Sicherheit durch Planung zu erzwingen. Auf der anderen: die Einsicht, dass echte Resilienz nur aus Freiheit wächst.

Wer glaubt, die Zukunft liege in Brüsseler Zielvorgaben, wird vielleicht Stabilität finden – aber keine Dynamik. Wer dagegen den Mut hat, Vielfalt, Wettbewerb und Risiko zuzulassen, wird gelegentlich scheitern – aber immer wieder Neues entdecken.

Vielleicht ist das der eigentliche Reichtum der Seltenen Erden: Sie zeigen uns, wie wertvoll Knappheit ist – nicht nur in der Geologie, sondern in der Politik.

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