Coop vs. Migros: Evolution trifft Revolution

Wenn Du heute durch eine Schweizer Stadt läufst, stolperst Du unweigerlich über sie: Coop und Migros. Zwei Riesen, die Dein Einkaufsverhalten prägen – und die gleichzeitig perfekte Studienobjekte sind, um zu verstehen, wie Handel, Gesellschaft und ein Stück Schweizer Streitkultur funktionieren.

Doch ihre Wege könnten unterschiedlicher kaum sein. Coop: tief verwurzelt im 19. Jahrhundert, getragen von Konsumvereinen, die für faire Preise kämpften. Migros: gegründet 1925, disruptiv, laut und mit Verkaufswagen, die die ganze Branche herausforderten.

Coop: Die leisen Rebellen

Die Wurzeln von Coop liegen im Jahr 1864. Damals gründete sich in Basel der Verband Schweizerischer Konsumvereine (VSK). Die Idee: Familien schliessen sich zusammen, kaufen gemeinsam direkt bei Produzenten und umgehen die Zwischenhändler.

Für Arbeiterhaushalte bedeutete das plötzlich günstigeren Zugang zu Zucker, Mehl oder Öl. Für Händler hingegen war es ein Angriff auf ihre Existenz. In Bern verweigerten Grosshändler 1870 die Belieferung der Genossenschaften, in Zürich diffamierten Zeitungen die Konsumvereine als „Preisdrücker“. In Winterthur verloren Mitglieder von Konsumvereinen gar ihre Anstellung, weil Arbeitgeber sie als unliebsame Rebellen sahen.

Trotz Widerständen wuchs das Netzwerk. Ende des 19. Jahrhunderts existierten in fast jeder grösseren Ortschaft Konsumvereine. Noch waren es klassische Läden mit Bedienung am Tresen – aber die kollektive Einkaufsmacht setzte neue Standards.

Migros: Der grosse Knall

Springen wir ins Jahr 1925. In Zürich rollten fünf Verkaufswagen auf die Strassen. Am Steuer: Gottlieb Duttweiler. Er verkaufte Zucker, Teigwaren, Kaffee und Seife direkt ab Lastwagen – zu Preisen, die im Schnitt 20 bis 40 Prozent tiefer lagen als im traditionellen Detailhandel.

Die Kaufleute tobten. Sie beantragten Verbote, warnten vor „unlauterem Wettbewerb“ und organisierten Boykotte. Doch die Kundschaft rannte Migros die Wagen fast ein.

Duttweiler legte nach:

  • 1941 wandelte Duttweiler die Migros in eine Genossenschaft um – mit heute rund 2,3 Millionen Mitgliedern.

  • 1948 eröffnete Migros die erste Selbstbedienungsfiliale der Schweiz. Kunden packten Waren selber in Körbe, statt sich bedienen zu lassen. Heute selbstverständlich, damals eine kleine Kulturrevolution.

  • Markenhersteller verweigerten die Belieferung? Migros gründete kurzerhand eigene Fabriken – 1950 waren es bereits zehn, von der Teigwarenproduktion bis zur Kaffeerösterei.

Migros stellte damit nicht nur Händler, sondern das ganze System in Frage.

Evolution vs. Revolution

Hier liegt der entscheidende Unterschied:

  • Coop setzte auf kollektive Einkaufsmacht. Das brachte Druck auf Händler, war aber noch im Rahmen der klassischen Strukturen.

  • Migros griff die Strukturen selbst an: Direktverkauf, Eigenmarken, Selbstbedienung, klare moralische Positionen wie „kein Alkohol und Tabak“.

Natürlich reagierte Coop. Als Migros mit Eigenmarken erfolgreich war, führte Coop eigene Linien ein – Naturaplan 1993 als erstes grosses Bio-Label im Detailhandel, Prix Garantie 2004 als Tiefpreislinie. Coop passte sich an, ohne ihre Genossenschaftstradition aufzugeben.

Zwei Giganten heute

Heute begegnen sich Coop und Migros auf Augenhöhe – beide als Genossenschaften, beide mit Millionen Mitgliedern. Doch sie setzen unterschiedliche Akzente:

  • Coop: über 2’500 Verkaufsstellen, 2,5 Mio. Genossenschafter, Gesamtumsatz 34,7 Mrd. CHF (2023). Davon über 2,5 Mrd. CHF Bio-Umsatz und über 50 % Marktanteil am Fairtrade-Gesamtvolumen der Schweiz. Coop punktet mit Nachhaltigkeit und Diversifikation: Fachgeschäfte wie Interdiscount, Fust, Bau+Hobby, Gastronomie mit über 170 Coop-Restaurants, dazu der internationale Grosshandel Transgourmet mit Milliardenumsätzen.

  • Migros: rund 2’000 Verkaufsstellen, 2,32 Mio. Genossenschafter, Gesamtumsatz 31,9 Mrd. CHF (2023). Davon rund 672 Supermärkte, flankiert von Migros Bank und Klubschule, dazu Eigenmarken und Fabriken. Seit 2024/25 hat Migros aber zahlreiche Fachmärkte abgestossen – darunter Melectronics, SportX, Do it + Garden und Micasa. Auch die Hotelplan-Gruppe und die Mibelle Group wurden verkauft. Damit verschlankt Migros ihr Imperium und konzentriert sich wieder stärker auf den Kern: Detailhandel, Bank und Gesundheit.

Im klassischen Detailhandel bleibt Migros die Nummer 1. Rechnet man jedoch Grosshandel und Gastronomie ein, liegt Coop insgesamt vorn.

Ärger als roter Faden

Interessant ist, dass beide Bewegungen denselben Reflex ausgelöst haben: Ärger bei den Etablierten.

  • Coop drückte im 19. Jahrhundert Preise durch kollektiven Einkauf. Händler sahen ihre Margen schwinden.

  • Migros revolutionierte ab 1925 gleich das ganze Spiel: neue Formate, eigene Industrie, aggressive Preispolitik.

In beiden Fällen war das Ergebnis dasselbe: günstigere Produkte für Konsumentinnen und Konsumenten – also auch für Dich.

Dein Regal, Deine Geschichte

Wenn Du heute zwischen einem Coop Naturaplan-Joghurt und einem Migros M-Classic-Joghurt stehst, hältst Du mehr als ein Milchprodukt in der Hand. Du greifst in eine Geschichte von über 150 Jahren Handelskonflikt – mit Boykotten, politischen Debatten und Millionen zufriedener Kunden.

Punchline

Ohne Coop wäre Migros vielleicht eine schrille Randnotiz geblieben. Ohne Migros wäre Coop gemütlich eingeschlafen. Gemeinsam haben sie Dich – ja genau Dich – zum Selbstbedienungskunden gemacht 😉

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